„Der Hof ist mein Sehnsuchtsort – und mein Arbeitsplatz.“

„Die Weide da drüben,“ Karina zeigt in die Richtung des bunten Bauwagens, „lass‘ uns da auf die Bank setzen.“ Wir sitzen im Schatten, der Wind rauscht angenehm durch die lang herunter hängenden Zweige. Zwei Jugendliche gehen vorbei und bringen Futter zum Kaninchenstall. Es ist sehr ruhig auf dem Hof Wessels in Herten.

Karina, du arbeitest auf einem Lern- und Projekt-Bauernhof!

„Ja, einen schöneren Arbeitsplatz kann ich mir für mich nicht vorstellen. Ich bin ja hier ganz in der Nähe aufgewachsen. Früher bin ich auf dem Weg zur Schule immer hier vorbei gekommen. Da war das hier einfach ein alter Hof. Ich wollte immer hier wohnen, es war schon immer mein Sehnsuchtsort. Dann irgendwann hat die Hertener Bürgerstiftung begonnen, hier Eichen zu pflanzen und den Hof wieder aufzubauen, das war 2000. Beim Pflanzen der Eichen habe ich damals mitgeholfen.“

Hast du von Anfang hier mit Kindern gearbeitet?

„Nein. Nachdem der Betrieb schon lief, meine Kinder waren schon auf der Welt, habe ich für ein paar Stunden in der Woche im Hofladen mitgeholfen. Hier liefen verschiedene Projekte für Jugendliche, auch Straffällige, die in der Küche oder in der Landwirtschaft gearbeitet haben oder Praktikum gemacht haben. Ich habe mir immer gedacht, dass man hier etwas mit Kindern machen müsste.“

Und das hast du dann gemacht?

„Ich durfte es einfach machen. Für mich stand immer fest, ich mache was zu den Themen Futter, Fast Food, Getreide, Tiere. Den ersten Flyer habe ich dann selbst gebastelt und hier ausgedruckt. Die Buchungszahlen gingen von Anfang an steil nach oben. 2005 haben wir dann mit den Gruppenangeboten angefangen. Damals gab es hier ja die ganzen Gehege und Bereiche noch gar nicht. Wir hatten keine Ausstattung, kein Personal. Diejenigen, die da waren, haben mitgeholfen. Das waren eigentlich groteske Bedingungen, aber es war schön. Es war alles draußen, bei jedem Wetter. Die Tiere sind ständig ausgebrochen und die Kinder haben sie wieder eingefangen. Wir wussten am Anfang auch gar nicht, was wir für die Angebote berechnen sollen. Wir haben dann einen Euro genommen.“

Aber das ist inzwischen anders, oder?

„Ja, jetzt haben wir die Tiergehege und Ställe, die große Hütte und den Bauwagen – und feste Preise. Der Bauwagen sah übrigens früher auch nicht so schön aus wie jetzt. Aber hier entwickelt sich alles mit der Zeit. Irgendwann kommt jemand, der den Bauwagen repariert, dann kommt jemand, der ihn bemalt. Und so ist das auch mit der Struktur. Die Struktur braucht ihre Zeit, das ist unsere Philosophie. Wir sind sanft gewachsen und wir sind immer noch nicht fertig.“

Jetzt leitest du den Hof.

„Meine Aufgaben sind jetzt andere. Ich sorge dafür, dass alle Mitarbeiter die Arbeitsgeräte haben, die sie benötigen. Und wenn etwas fehlt, muss ich sehen, woher ich es besorgen kann. Das Geld ist immer knapp. Ich überlege mir neue Schwerpunkte, entwickele Projektideen, für die wir dann Fördermittel suchen. Wir sind immer auf Spenden angewiesen.“

Haben sich eure Themen verändert?

Karina vom Hof Wessels in Herten

„Wir machen jetzt mehr. Inhaltlich waren wir immer richtig gut. Seit 2006 machen wir die Ferienfreizeiten hier auf dem Hof, 10 Wochen pro Jahr, außer in den Weihnachtsferien. Wir haben ein begrenztes Platzangebot für 20 Kinder, sonst wird die Gruppe zu groß. In den Ferienfreizeiten werden wir von jungen geschulten Hilfskräften unterstützt. Dann sind da die Kindergartengruppen und Grundschulklassen. Die kommen mindestens 4 Mal im Jahr. Manche Kindergärten kommen mit ihren Gruppen drei Jahre lang, also die ganze Kindergartenzeit, 20 Mal im Jahr. Die Kinder lieben es hier. Wir sind heute schon bis zum Ende des nächsten Schuljahres ausgebucht. Es kommen auch weiterführende Schulen. Wir machen z. B. mit den Neuntklässlern dasselbe wie mit den Kindern, die Ansprache ist natürlich eine andere.“

Geht es insgesamt um Basisfertigkeiten?

„Genau. Und sie müssen lernen, die Natur zu spüren. Vor allem bei den Neuntklässlern macht das was mit ihnen. Wenn wir Fallobst aufsammeln, ekeln sie sich erst einmal vor angedötschten und matschigen Äpfeln und können sie nicht anfassen. Oder wenn sie Äpfel pflücken und es hat vorher geregnet und die Äpfel sind ein bisschen nass. Das müssen sie erst lernen. Aus den Äpfeln machen sie dann Apfelsaft, der schmeckt ihnen natürlich sehr viel besser als jeder gekaufte Saft.“

Beschäftigt ihr auch Langzeitarbeitslose?

„Ja, bei uns arbeiten drei Erwachsene, die viele Jahre keine Arbeit mehr gefunden haben. Sie machen hier auf dem Hof alles, was anfällt, vor allem in der Landwirtschaft. Für die Erwachsenen ist Ende des Jahres hier erst einmal Schluss. Wir hoffen, dass sie eine Verlängerung bekommen können, das hängt jetzt von der Politik ab, ob das Programm ‚Soziale Teilhabe‘ angepasst wird. Ich würde alle drei sofort einstellen, sie leisten hier eine wertvolle Arbeit. Außerdem arbeiten hier 12 Jugendliche, die große persönliche Schwierigkeiten haben und keine Perspektive.“

Und sie sollen wieder in die Spur kommen?

„Ja, aber das dauert mitunter sehr lange, das bekommt man nicht in drei Monaten oder einem halben Jahr hin. Unser Grundsatz hier lautet ‚Wir nehmen jeden mit!‘. Die Jugendlichen lernen Verantwortung zu übernehmen, unsere Tiere bekommen jeden an die Arbeit. Die Tier haben Hunger, die müssen gefüttert werden, sonst sterben sie. Die Ställe müssen sauber gemacht werden und da muss man auch mal die Scheiße wegmachen. Wichtig ist uns, dass hier jeder in den vorhandenen Sparten seinen Leidenschaften nachgehen und sich einbringen kann. Das bringt den Jugendlichen richtig viel und es ist oft das erste Mal, dass sie sich überhaupt irgendwie einbringen. Auch unsere Mitarbeiter können sich frei entfalten, wir sind hier ein Haufen Individualisten. Eine Kollegin hatte sich z. B. für Wolle interessiert und so haben wir das Spinnrad angeschafft und jetzt färbt sie mit den Kindern Wolle und verarbeitet sie weiter. Ein Kollege wollte etwas mit Kräutern machen und hat da hinten die Kräuterbeete angelegt. Dort arbeiten jetzt die Kinder. Die Mitarbeiter sind übrigens nie krank.“

Auch weil ihr viel draußen seid?

„Ja, auch. Aber vor allem weil wir hier glücklich sind.“

Das hört sich nach dem sprichwörtlichen Ponyhof an.

„Ponys haben wir auch, Jones und Jerry. Ich möchte, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit lieben. Am Anfang war das auch für mich sehr schwer zu trennen und ich musste aufpassen, den Bezug nicht zu verlieren. Denn das hier ist Arbeit.“

Karina, vielen Dank für das Gespräch an diesem wunderschönen Ort.


[Text und Fotos: Silke König]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert